Zunehmend wird von einem neuen Trend auf Social Media bei Influencern berichtet: dem sog. Deinfluencing. Influencer besprechen in ihren Videos dann nicht ihre aktuellen Lieblingsprodukte. Im Gegenteil, sie weisen beim Deinfluencing auf aus ihrer Sicht unnötige Trendprodukte hin. Statt der für Influencer üblichen Kaufempfehlung wird vor dem Kauf bestimmter Produkte gewarnt. Vereinzelt weisen sie auch auf günstigere oder aus ihrer Sicht bessere Alternativen hin.

Bei den Videos zum Deinfluencing werden Produkte in der Regel vor laufender Kamera getestet und vor allem die Nachteile (z.B. schlechter Geruch, schlechte Verarbeitung, minderwertige Materialien, Optik, Preis etc.) hervorgehoben. Teilweise wird auch einfach nur der Nutzen für ein vergleichsweise teures Produkt in Frage gestellt.

Ziel dieses neuen Trends sei es, dem aktuellen Konsum-Wahn etwas entgegenzustellen. Die Follower sollen zu einem bewussteren und nachhaltigeren Konsum angeregt werden. So lässt sich bspw. Emira D’Spain wie folgt zitieren:

„Ich möchte, dass die Leute bewusster mit ihren Einkäufen umgehen. Die durchschnittliche Person braucht nicht so viele Schönheitsprodukte wie die Influencer. Und sie sollten sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, etwas Neues auszuprobieren, nur weil es gerade viral geht.“

Auf der anderen Seite dieses Trends stehen naturgemäß die Unternehmen, vor deren Produkte von reichweitenstarken Influencern gewarnt wird. Sie sehen hierdurch ihre Absatzchancen gefährdet. Besonders problematisch wird es für Unternehmen dann, wenn über das besprochene Produkt (bewusst oder unbewusst) Falschaussagen getroffen werden. Für Unternehmen stellt sich dann zwangsläufig die Frage, ob sie einen solchen Beitrag als zulässige Meinungsäußerung dulden müssen oder ob es sich hierbei schon um einen unzulässigen Aufruf zum Boykott handelt.

 

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Aber was ist eigentlich ein Boykott?

Fragt man den Duden, was man unter einen Boykott zu verstehen hat, liefert dieser die folgende Definition:

„politische, wirtschaftliche oder soziale Ächtung; Ausschluss von den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Beziehungen“.

Die Wikipedia beschreibt den Boykott wie folgt:

„Ein Boykott ist ein organisiertes wirtschaftliches, soziales oder politisches Zwangs- oder Druckmittel, durch das eine Person, eine Personenvereinigung, ein Unternehmen oder ein Staat vom regelmäßigen Geschäftsverkehr ausgeschlossen wird. Streik und Embargo sind weitere Druckmittel, die zum Boykott weitgehend wesensgleich sind.“

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages beschreibt den Begriff in seinem Sachstand „Boykottaufrufe“ (WD 7 – 3000 – 094/16) wie folgt:

„Begrifflich wird unter einem Boykott die Aufforderung zu einer Liefer- oder Bezugssperre verstanden. Eine Boykottsituation steht mithin mindestens drei Beteiligte voraus: den Verrufer (Boykottierer), den Adressaten (Ausführer), der die Sperre vornehmen soll, und letztlich den Verrufenen (Boykottierten), gegen welchen sich die Sperre richten soll.“

Ziel eines Boykotts im Wirtschaftsleben ist es also, den Adressaten eines Boykottaufrufs dazu zu bewegen, die Leistungen eines bestimmten Unternehmens zu meiden und nicht mehr zu beziehen. Der Boykott besteht damit in der Regel in einem Dreiecks- bzw. Drei-Personen-Verhältnis.

Werden lediglich Informationen über ein Unternehmen oder ein Produkt mitgeteilt, reicht dies für den Aufruf zum Boykott noch nicht aus (BGH, Urteil vom 27.04.1999 - KZR 54/97). Auch der bloße Verweis auf günstigere Angebote Dritter stellt noch keinen Aufruf zum Boykott dar, wenn nicht zugleich die Absicht besteht, den Bezug bei einem bestimmen Unternehmen zu behindern. So führte der BGH in der Entscheidung „Zahnärzte für Manila“ (BGH, Urteil vom 14. 3. 2000 - KZR 15/98) hierzu aus

„Wird lediglich auf das günstige Angebot bestimmter Betriebe hingewiesen, liegt darin noch kein Boykott. Unabhängig davon stellt die Empfehlung bestimmter Betriebe in der hier in Rede stehenden Form keine unbillige Beeinträchtigung der benachteiligten Anbieter dar.“

Ein Boykottaufruf setzt also grob das Vorliegen der folgenden Voraussetzungen voraus:

  • Es bedarf einer Aufforderung, also dem Versuch, einen anderen zu beeinflussen;
  • Der Aufruf muss zum Inhalt haben, die geschäftlichen Beziehungen zum Boykottierten abzubrechen;
  • Der Adressat muss eine Entscheidungsfreiheit haben, also der Aufforderungen überhaupt nachkommen können;
  • Die Aufforderung muss erheblich sein, was nicht der Fall ist bei bloßen Informationen oder Anregungen;
  • Die Aufforderung muss (objektiv) geeignet sein, den Adressaten beeinflussen zu können;
  • Die Parteien des Drei-Personen-Verhältnisses müssen bestimmbar sein.

Wo sind die rechtlichen Grenzen eines Boykottaufrufs?

Bei einem Boykottaufruf handelt es sich in aller Regel um ein Werturteil oder eine Erklärung im Meinungskampf. Als Meinungsäußerung steht sie zunächst unter dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Dies gilt allerdings nur dann, wenn es sich hierbei um einen nicht wettbewerblichen Zwecken dienenden Boykott handelt und er als Mittel des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage einsetzt, ihm also keine private Auseinandersetzung, sondern die Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit zugrunde liegt. Werden ausschließlich eigene wirtschaftliche Belange verfolgt, stellt dies ein Indiz für die Unzulässigkeit des Boykottaufrufs dar.

Demgegenüber stehen die ebenfalls aus Art. 12, 14 GG geschützten Interessen des boykottierten Unternehmens. Für die Frage der Zulässigkeit eines Boykottaufrufs kommt es daher stets auf eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall an. Basiert der Boykottaufruf ausschließlich oder überwiegend auf unwahren Tatsachenbehauptungen, dann überwiegt in der Regel bereits deswegen schon das Interesse des betroffenen Unternehmens auf Beendigung des Boykottaufrufs. Unwahre Tatsachenbehauptungen sind nicht geeignet, einen Beitrag für den Meinungskampf zu leisten und müssen von niemanden geduldet werden.

Bei der Interessenabwägung müssen dann das eingesetzte Mittel und der verfolgte Zweck des Boykottaufrufs stets zusammen berücksichtigt werden. Ein Boykottaufruf ist auch nur solange zulässig, wie kein physischer, psychischer, wirtschaftlicher oder unangemessener sozialer Druck auf die Verbraucher zur Durchsetzung des Aufrufs ausgeübt oder zu rechts- oder vertragswidrigem Verhalten aufgerufen wird. So führt der BGH in seiner Entscheidung „Nerzquäler“ (BGH, Urteil vom 19.1.2016 – VI ZR 302/15 ) hierzu aus:

„Bei einem Aufruf zu Boykottmaßnahmen sind für die Abwägung zunächst die Motive und – damit verknüpft – das Ziel und der Zweck des Aufrufs wesentlich. Findet dieser seinen Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit, dient er also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, dann spricht dies dafür, dass der Schutz durch Art. 5 I 1 GG regelmäßig Vorrang hat, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden (BVerfGE 25, 256 [264] = NJW 1969, 1161 – Blinkfüer; BVerfGE 62, 230 [244] = NJW 1983, 1181; BVerfG, NJW 1992, 1153 [1154]; BVerfGK 12, 272 [276] = NJW-RR 2008, 200 = NJW 2008, 1146 Ls.; BGH, NJW-RR 2014, 1508 = VersR 2015, 717 Rn. 24; vgl. auch Senat, BGHZ 45, 296 [308] = NJW 1966, 1617 – Höllenfeuer). Die Verfolgung der Ziele des Aufrufenden darf allerdings das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder betroffener Dritter nicht überschreiten (BVerfGE 7, 198 [215] = NJW 1958, 257 – Lüth; BVerfGE 62, 230 [244] = NJW 1983, 1181; BVerfGK 12, 272 [276] = NJW-RR 2008, 200 = NJW 2008, 1146 Ls.). Schließlich dürfen die Mittel der Durchsetzung des Boykottaufrufs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein. Das ist grundsätzlich der Fall, wenn der Aufrufende sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten, nicht aber, wenn zusätzlich Machtmittel eingesetzt werden, die der eigenen Meinung etwa durch Androhung oder Ankündigung schwerer Nachteile und Ausnutzung sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit Nachdruck verleihen sollen und so die innere Freiheit der Meinungsbildung zu beeinträchtigen drohen (BVerfGE 25, 256 [264?f.] = NJW 1969, 1161 – Blinkfüer; BVerfGE 62, 230 [244?f.] = NJW 1983, 1181; BVerfGK 12, 272 [276] = NJW-RR 2008, 200 = NJW 2008, 1146 Ls.; BGH, NJW-RR 2014, 1508 = VersR 2015, 717 Rn. 24).“

Ein Boykottaufruf kann also vor allem in den folgenden Fällen zulässig sein:

  • Boykottaufruf dient nicht eigenen wirtschaftlichen Interessen, sondern erfolgt aus Sorge um politische, wirtschaftlich, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit;
  • Das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Boykottierten wurde noch nicht überschritten;
  • Der Boykottaufruf beschränkt sich auf Mittel, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten, ohne wirtschaftlichen oder sonstigen unangemessenen Druck auf die Adressaten auszuüben.

Handelt es sich bei dem Boykottierer und dem Boykottierten um Mitbewerber, kann ein unzulässiger Boykottaufruf eine unlautere geschäftliche Handlung darstellen. Insbesondere kann hierin – je nach Inhalt des Aufrufes – eine Verunglimpfung oder Herabsetzung im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 UWG liegen. Auch kann es sich dabei um eine gezielte Behinderung im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 4 UWG handeln.

Handelt es sich beim Boykottierer nicht um einen Mitbewerber oder erfolgt der Aufruf gerade nicht zu Zwecken des Wettbewerbs, findet das Lauterkeitsrecht keine Anwendung. In diesem Fall kann der Boykottaufruf allerdings eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB oder ein Eingriff in den ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb bzw. in das Unternehmerpersönlichkeitsrecht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB darstellen.

Im Falle eines unzulässigen Boykottaufrufs hat das betroffene Unternehmen gegen den Boykottierer in der Regel die folgenden Ansprüche:

  • Unterlassungsanspruch
  • Schadenersatzanspruch
  • Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten
 

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Stellt Deinfluencing nun einen unzulässigen Boykott dar?

Es stellt sich für Unternehmen am Ende die Gretchenfrage, ob ein Deinfluencing-Beitrag als Boykottaufruf zu werten ist. Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es dabei nicht. Es kommt vielmehr auf den konkreten Beitrag an, der sich allerdings anhand der dargestellten Indizien einordnen lässt.

Dient der Beitrag beim Deinfluencing ausschließlich oder zumindest überwiegend dem Zweck, die Follower in sachlicher Art und Weise über die Nachteile eines Produktes im Vergleich zu einem Konkurrenzproduktes aufzuzeigen, dürfte es sich hierbei noch nicht um einen unzulässigen Boykottaufruf handeln. Problematischer wird es dann, wenn der Influencer bei diesem Vergleich verschweigt, dass er wirtschaftlich von dem Verkauf des Konkurrenzproduktes profitiert. Ob die Grenze des unzulässigen Boykotts damit schon überschritten ist, hängt maßgeblich von der Ausgestaltung des Beitrages ab. In jedem Fall liegt hierin allerdings eine unzulässige Irreführung.

Unzulässig sind sämtliche Beiträge, in denen der Influencer unwahre Tatsachenbehauptungen über das besprochene Produkt und das Unternehmen verbreitet. Ein solcher Beitrag ist nicht geeignet, einen Beitrag für die Meinungsbildung der Follower zu leisten und muss daher nicht von dem betroffenen Unternehmen geduldet werden.

Der neue Trend des Deinfluencing birgt für die Beteiligten neue Risiken. Den betroffenen Unternehmen drohen auf der einen Seite teils empfindliche Umsatzeinbuße und je nach Art und Inhalt des Beitrages auch ein Imageschaden. Influencer, die sich am Trend Deinfluencing beteiligen müssen auf der anderen Seite peinlich darauf achten, dass ihr Beitrag nicht als unzulässiger Boykottaufruf zu werten ist. 

Nachfolgend eine Auswahl der aktuellen Berichterstattung zu dem Trend Deinfluencing: 

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