Mit der Richtlinie (EU) 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen wurden die Mitgliedsstaaten bereits verpflichtet, für den öffentlichen Sektor Regelungen zu einem barrierefreien Zugang zu Websites und Apps von öffentlichen Stellen zu schaffen.

Mit dem Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (kurz BGG) wurden die Regelungen aus der RL 2016/2102 auch bereits in nationales Recht umgesetzt. Seitdem sind öffentliche Stellen verpflichtet, ihre Websites und Apps so zu gestalten, dass diese auch für Menschen mit Behinderung leichter zugänglich, sprich barrierefrei, sind.

Weder die RL 2016/2102 noch das BGG finden allerdings auf private Unternehmen und deren Websites und Apps Anwendung, obwohl auch hier ein Bedürfnis für einen barrierefreien Zugang besteht. Entsprechend hat das Europäische Parlament und der Rat am 17. April 2019 die Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen erlassen. Nach Art. 31 Abs. 1 RL 2019/882 haben die Mitgliedsstaaten die Vorgaben aus dieser Richtlinie bis zum 28. Juni 2022 in nationales Recht umzusetzen. Deutschland hat die RL 2019/882 bereits am 16. Juli 2021 mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz BFSG) in nationales Recht umgesetzt.

Was ist der Zweck des neuen Gesetzes?

Das BFSG ist weit gefasst und umfasst die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen. Damit werden grundsätzlich sämtliche Lebensbereiche umfasst, in denen eine Teilhabe von Menschen mit Behinderung ermöglicht werden soll. So beschreibt § 1 Abs. 1 S. 2 BFSG den Zweck des Gesetzes unter anderem wie folgt:

„Dadurch wird für Menschen mit Behinderung ihr Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gestärkt und der Harmonisierung des Binnenmarktes Rechnung getragen.“.

In § 1 Abs. 2, 3 BFSG wird der Anwendungsbereich näher konkretisiert. So sieht § 1 Abs. 3 Nr. 5 BFSG ausdrücklich vor, dass die Vorgaben auch für Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr gelten. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf gelten die Barrierefreiheitsanforderungen an Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr für den Online-Verkauf jeglicher Produkte oder Dienstleistungen (S. 76 der Begründung zum Regierungsentwurf).

Daneben müssen nach § 1 Abs. 2 BFSG unter anderem folgende Produkte barrierefrei angeboten werden:

  • Computer, Notebooks, Tablets, Smartphones
  • Fernsehgeräte mit Internetzugang
  • E-Book-Reader

Dienstleistungen, die barrierefrei auszugestalten sind, sind unter anderem:

  • Telefondienste
  • Messenger-Dienste
  • In Apps angebotene Dienstleistungen im überregionalen Personenverkehr
  • Bankleistungen

Nicht vom BFSG erfasst sind allerdings Dienste, die Verbrauchern den Zugang zu audio-visuellen Mediendienste, also Streamingdienste wie Netflix, Amazon Prime oder Disney Plus, ermöglichen. Für diese Dienste werden eigene Regelungen zur Barrierefreiheit in den Medienstaatsvertrag (MStV) aufgenommen.

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Neue Pflicht zur Barrierefreiheit gilt auch für den E-Commerce

In § 3 Abs. 1 S. 1 BFSG wird sodann die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen gesetzlich angeordnet. § 14 BFSG konkretisiert diese Pflicht für Erbringer von Dienstleistungen. Diese dürfen danach nur angeboten und erbrecht werden, wenn die Dienstleistungen den Barrierefreiheitsanforderungen nach § 3 Abs. 2 BFSG entspricht und zugleich die erforderlichen Pflichtinformationen nach Anlage 3 Nr. 1 zur Verfügung gestellt werden. Anlage 3 sieht folgende Regelungen zu den Informationspflichten des Dienstleistungserbringer vor:

„Informationen über Dienstleistungen, die den Barrierefreiheitsanforderungen entsprechen

1. Der Dienstleistungserbringer gibt zu seiner Dienstleistung im Sinne des § 1 Absatz 3 in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder auf andere deutlich wahrnehmbare Weise an, wie sie die Barrierefreiheitsanforderungen der nach § 3 Absatz 2 zu erlassenden Rechtsverordnung erfüllt. Die entsprechenden Informationen umfassen eine Beschreibung der geltenden Anforderungen und decken, soweit für die Bewertung von Belang, die Gestaltung und die Durchführung der Dienstleistung ab. Neben den Anforderungen an die Verbraucherinformation nach Artikel 246 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuchenthalten die Informationen, soweit anwendbar, jedenfalls folgende Elemente:

a) eine allgemeine Beschreibung der Dienstleistung in einem barrierefreien Format;
b) Beschreibungen und Erläuterungen, die zum Verständnis der Durchführung der Dienstleistung erforderlich sind;
c) eine Beschreibung, wie die Dienstleistung die einschlägigen in der nach § 3 Absatz 2 zu erlassenden Rechtsverordnung aufgeführten Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt;
d) die Angabe der zuständigen Marktüberwachungsbehörde.

2. Um den Anforderungen gemäß Nummer 1 dieser Anlage zu entsprechen, kann der Dienstleistungserbringer die harmonisierten Normen und technische Spezifikationen, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden, vollständig oder in Teilen anwenden.“.


Barrierefrei sind Produkte und Dienstleistungen nach § 3 Abs. 1 S. 2 BFSG ganz allgemein,

„wenn sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“.

Da diese Definition von „Barrierefreiheit“ noch keine Vorgaben macht, wie diese Barrierefreiheit tatsächlich erreicht werden kann, sieht § 3 Abs. 2 BFSG eine Ermächtigung zum Erlass einer Verordnung vor, welche konkrete Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen vorgibt.

Nach der Begründung zum Regierungsentwurf (dort Seite 84) gehört neben der Barrierefreiheit des Produktes oder der Dienstleistung selbst auch, dass Menschen mit Behinderung auch Zugang zu den für sie erforderlichen Informationen haben. Das können bei Produkten Gebrauchsanweisungen, Sicherheitsinformationen oder Kontaktangaben zum Hersteller sein. Bei Dienstleistungen können es Informationen über die Funktionsweise der Dienstleistung sein.

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Konkretisierung der Anforderungen über eigene Verordnung

Zur Konkretisierung der Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS) einen ersten Verordnungsentwurf vorgelegt. § 12 des Verordnungsentwurfes werden zunächst allgemeine Anfordern an Dienstleistungen gestellt. So müssen nach § 12 Nr. 3 Webseiten, einschließlich der zugehörigen Online-Anwendungen und auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen, einschließlich mobiler Apps, auf konsistente und angemessene Weise wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden. Nach der Begründung zum Verordnungsentwurf (dort auf Seite 28) soll hiermit Anhang I Abschnitt III c) der RL 2019/882 umgesetzt werden. Tatsächlich entspricht § 12 Nr. 3 nahezu wortgleich der Regelung in Anhang I Abschnitt III c) der RL 2019/882.

In § 19 des Verordnungsentwurfes werden zusätzliche Anforderungen im elektronischen Geschäftsverkehr gestellt. Wörtlich lautet die vorgeschlagene Regelung:

„§ 19 Zusätzliche Anforderungen an Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr

Bei Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr müssen
1. Informationen zur Barrierefreiheit der zum Verkauf stehenden Produkte und der angebotenen Dienstleistungen bereitgestellt werden, soweit diese Informationen vom verantwortlichen Wirtschaftsakteur zur Verfügung gestellt werden,
2. Identifizierungs-, Authentifizierungs-, Sicherheits- und Zahlungsfunktionen, wenn diese nicht in Form eines Produkts, sondern im Rahmen einer Dienstleistung bereitgestellt werden, wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden und
3. Identifizierungsmethoden, Authentifizierungsmethoden, elektronische Signaturen und Zahlungsdienste, wenn diese bereitgestellt werden, wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden.“

Einen Verweis auf konkrete technische Standards, wie zum Beispiel die EN 301 549 oder die WCAG 2.1 sieht der Verordnungsentwurf nicht vor. Anders als die BITV 2.0, welche in § 3 Abs. 2 eine Vermutung vorsieht, wonach die Anforderungen an die Barrierefreiheit als erfüllt angesehen werden, wenn die angebotenen Dienste harmonisierten Normen oder Teilen dieser Normen entsprechen und diese Normen oder Teile dieser Normen im Amtsblatt der EU genannt werden. Eine solche Vermutungswirkung auf Basis harmonisierter Normen sieht zwar der Verordnungsentwurf zum BFSG nicht vor. Das BFSG sieht allerdings in § 4 BFSG eine zu § 3 BITV 2.0 gleichlautende Vermutung vor, sodass davon ausgegangen werden kann, dass auch im Anwendungsbereich des BFSG die Anforderungen der WCAG 2.1 zu erfüllen sind.

Darüber hinaus sieht er in § 21 funktionale Leistungskriterien vor, die erfüllt sein müssen, sofern die §§ 4 bis 19 keine spezifischen Anforderungen stellen. Sind diese funktionalen Leistungskriterien erfüllt, gelten die entsprechenden Produkte oder Dienstleistungen als barrierefrei. Für Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr sieht der Verordnungsentwurf, wie gezeigt, in § 19 allerdings eigene Anforderungen vor.

Insofern ist es nicht ersichtlich, warum die technischen Vorgaben, die an Websites öffentlicher Stellen gestellt werden, nicht auch für Websites von privaten Unternehmen gelten sollen. So verweist auch die Bundesfachstelle Barrierefreiheit für die Anforderungen an eine digitale Barrierefreiheit auf den Standard WCAG 2.1:

"Digitale Barrierefreiheit umfasst viele Bereiche, die einen Zugang zum Internet oder digitalen Anwendungen für alle Nutzerinnen und Nutzer möglich machen sollen. Als Grundlage dienen die Web Content Accessibility Guidelines 2.1 (WCAG 2.1), auf denen auch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung fußt."

Erst recht dürfte eine Website barrierefrei sein, wenn sie neben den genannten technischen Standards auch die Anforderungen aus der Verordnung zum BFSG erfüllt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass dieser Verordnungsentwurf derzeit noch nicht endgültig verabschiedet ist und entsprechend noch Änderungen erfahren könnte. Gleichzeitig sollte mit der Umgestaltung der Website nicht bis zum 28. Juni 2025 gewartet werden. Um zum Stichtag nicht von der Umsetzungspflicht überrascht zu werden, sollte sich frühzeitig mit dem Thema befassen.

Was droht bei Nichteinhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen?

Werden die Anforderungen an die Barrierefreiheit nicht eingehalten, drohen Unternehmen verschiedene Sanktionen. So kann die Marktüberwachungsbehörde nach § 29 Abs. 3 BFSG anordnen, dass ein Angebot oder die Erbringung einer Dienstleistung eingestellt wird, wenn diese trotz Beanstandung und Fristsetzung dauerhaft nicht barrierefrei zur Verfügung gestellt wird.

Erbringt ein Unternehmen entgegen der Pflicht aus §§ 14, 3 BFSG nicht barrierefrei, stellt das nach § 37 Abs. 1 Nr. 8 BFSG eine Ordnungswidrigkeit, die nach § 37 Abs. 2 Alt. 1 BFSG mit einem Bußgeld von bis zu 100.000,00 EUR (Einhunderttausend) geahndet werden kann.

Auch den betroffenen Verbrauchern werden verschiedene Möglichkeiten an die Hand gegeben, Verstöße gegen die Pflichten aus dem BFSG zu verfolgen. So können sie einerseits bei der zuständigen Landesbehörde Maßnahmen zur Beseitigung des Verstoßes beantragen. Zudem wird Verbrauchern in § 33 BFSG das Recht eingeräumt, einen anerkannten Verband oder eine qualifizierte Einrichtung zu beauftragen, in seinem Namen oder an seiner Stelle Rechtsbehelfe einzulegen. Darüber hinaus schafft das BFSG ein eigenes Verbandsklagerecht für Verbände und qualifizierte Einrichtungen.

Ob auch Mitbewerber nach § 3a UWG lauterkeitsrechtliche Ansprüche gegen ein Unternehmen durchsetzen können, dass die Vorgaben aus dem BFSG nicht einhält, hängt davon ab, ob die Pflicht zur Barrierefreiheit eine Marktverhaltensregelung ist.

 Aus der gesetzlichen Pflicht folgt die technische Umsetzung. Wie diese zu erfolgen hat, beschreibt Lukas Walther in seinem Blogbeitrag Barrierefreiheit, BFSG und WCAG 2.1: Umsetzung der neuen Normen

Aus der Einleitung:

Barrierefreiheit, BFSG und WCAG 2.1: Umsetzung der neuen Normen

Auf Webseiten öffentlicher Stellen bereits seit einiger Zeit geltender Standard, soll der barrierefreie Zugang zu Webseiten nun für deutlich mehr Webseiten, insbesondere auch im privaten Sektor, verpflichtend werden. In diesem Rahmen erhalten die „Web Content Accessibility Guidelines 2.1“ (WCAG) der „Web Accessibility Initiative“ (WAI) erhebliche Bedeutung. Eine kurze Vorstellung des Standards.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlich Leitlinien zur Barrierefreiheit

 Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat zur Erläuterung der Pflichten aus dem BFSG eigene Leitlinien veröffentlicht. So heißt es in der Ankündigung zu den Leitlinien

Um den Kleinstunternehmen die Anwendung des Gesetzes zu erleichtern, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Leitlinien erstellt. Mit diesen Leitlinien wird den Unternehmen und Rechtsanwendern ein Wegweiser durch das BFSG zur Verfügung gestellt. Von der Frage, ob man als Unternehmer in den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt, bis hin zu Erläuterungen, was passieren kann, wenn man die Barrierefreiheitsanforderungen nicht einhält, bereiten die Leitlinien die wichtigsten Themen aus dem BFSG verständlich auf und erläutern sie anhand von praktischen Beispielen.

Die Leitlinien bieten einen allgemeinen Überblick über die Pflichten aus dem Gesetz aber auch Hinweise, wann der Betreiber einer Internetseite die Anforderungen einhalten muss, und wann nicht. 

Die Leitlinien sind hier abrufbar: Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes 

 Folien zum Webinar VORTEILE DES EAA FÜR UNTERNEHMEN - IN 7 SCHRITTEN ZUM ERFOLG zum Download.

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